Alternative Themen sollten Themen der Alternative sein. Tatsächlich sind sie es nur selten. Auf den Monat zehn Jahre ist es her, da …
… erschien das Sezession-Sonderheft »Alternativen für Deutschland«. Die Entstehungsgeschichte ist einigermaßen wild. Ursprünglich sollte eine Vorschuß-Eloge auf die Identitäre Bewegung Deutschland als außerparlamentarische Alternative für Deutschland (auf dem bekannten 1968-Trittbrett) angestimmt werden. Diesbezüglich traten aber rasch Zweifel auf. Zeitgleich kam unvermittelt die parteiförmige, auch dem Namen nach offiziöse Alternative für Deutschland daher. Eine thematische Engführung auf Aktionismus und Idealismus erwies sich vor der normativen Kraft des Faktischen als so unverantwortlich, wie sie es im Hinblick auf das reale Leben nun mal ist.
Alternative damals …
Meine Wenigkeit hat zu diesem Heft eine einstweilige Bestandsaufnahme unter dem – tatsächlich von mir selbst formulierten – Titel »Alternative? Für? Deutschland?« beigesteuert. (Es hieß oft, meine Titelspielereien seien zu “esoterisch” für einen “normalen Leser” – was auch immer das sein soll. Ich denke, in diesem Fall ist es nicht allzuschwer, die drei Fragezeichen zu verstehen.) Damals gab es noch nicht viel über “Leistungen” der soeben erst gegründeten Partei zu berichten. So blieb mir für diese Auftragsarbeit nur, mich an der Programmatik und den Reaktionen zu orientieren, um Vermutungen über die Zukunft der AfD anstellen zu können. Das Sonderheft ist schon lange nicht mehr erhältlich und liegt auch nicht digitalisiert vor. Deshalb hier zur Positionsmarkierung mein Fazit, das sich rundum bestätigte und an dem ich kein Iota zu revidieren habe:
Derzeit ist sie besonders interessant für alle latenten Dissidenten, die der Hoffnung anhängen, daß die allumfassende Schieflage der Bundesrepublik noch auf parlamentarischem Wege zu beheben sein könnte – nicht umsonst begleitet gerade die Junge Freiheit die AfD seit ihrer Gründung mit einhellig jubelnder Pressearbeit.
Nils Wegner: »Alternative? Für? Deutschland?«; in: Sezession Sonderheft »Alternativen für Deutschland« (Mai 2013), S. 36 ff., hier S. 38.
… und heute …
Im Teaser für das damalige Sezession-Sonderheft »Alternativen für Deutschland« schrieb Götz Kubitschek über die Partei:
Sie ist zum Hoffnungsträger jener Konservativen, Neuen Rechten, Libertären und Freien Wähler geworden, die sich eine verbesserte CDU, eine verbesserte FDP, eine Ergänzung des Parteiensystems und die Sicherung ihres Privat- sowie des Volksvermögens wünschen.
Götz Kubitschek: »Alternativen für Deutschland – Analysen im Plural«, sezession.de vom 26. April 2013.
Nun wurde das – ebenso wie meine eigene seinerzeitige grobe Analyse der just entstandenen Alternative – vor dem Anbranden der ersten von vielen Migrantenwellen 2015 geschrieben. Die Umrisse der großwestdeutschen Misere waren aber auch da schon längst erkennbar, auch und gerade im Hinblick auf das Parteiensystem. Was die genannten Gruppen der “Hoffenden” angeht, so hat die AfD in den zehn darauf folgenden Jahren zumindest die Libertären und die Freien Wähler weitenteils abgeschüttelt. Auch wenn dies wohl meist unabsichtlich geschah, ist es doch vollumfänglich zu begrüßen. Dafür hat sie erkennbar eine ganze Menge “Neuer Rechter” hinzugewonnen; nicht unbedingt als Wähler, aber nolens volens als Mit- und Zuarbeiter. Dazu muß man mindestens geteilter Meinung sein – ich erinnere hier an die »operative Hygiene«. Und was die “Hoffnung” auf diverse “Verbesserungen” und Besitzstandssicherungen angeht, so hat Kollege Kaiser das dahinterliegende Denken am besten demaskiert:
Ein nennenswerter Teil des Wachstums des Anti-Mainstream-Blocks ist in jenen Empörungsblasen zu verzeichnen, die durch Akteure dominiert werden, die nur aufgrund des fortwährenden Linksrucks des Mainstreams aus diesem Hauptstrom entfernt wurden […]. Ihr politischpublizistisches Erfolgs- und bisweilen auch einträgliches Geschäftsmodell ist es nun, wütend gegen den Verlust ihrer Reputation, ihrer Stellungen, ihrer Saläre anzuschreiben. Sie zeigen sich schlechterdings davon beseelt, die verloren geglaubte »Normalität« ihres Wirkens in der »Mitte der Gesellschaft« wiederherzustellen, weil sie die systemischen Prozesse aufgrund eigener inhaltlicher wie habitueller Prägungen nicht erkennen können oder wollen.
Benedikt Kaiser: »Organische Intellektuelle und Selbstvermarkter«; in: ders.: Die Konvergenz der Krisen. Theorie und Praxis in Bewegung 2017–2023, S. 210–219, hier S. 211.
Um so drolliger, daß die sogenannten Bürger in Wut in ihrer neuen Form als sogenanntes Bündnis Deutschland nun offenbar genau den gleichen alten Schwachsinn von wegen »Startschuss für eine neue bürgerlich-konservative Wende in Deutschland« (wieder mal) neu aufwärmen wollen. Die REP, (Schill-)PRO, Die Freiheit und der Rest der Puppenkiste lassen schön grüßen. Nihil novi sub sole. Die »ehernen Gesetze« des Parteienwesens heißen halt nicht grundlos so, wie man sich mittlerweile nun auch endlich online anhören und -sehen kann:
… und morgen?
Natürlich gibt es Zeitgenossen – und ich hoffe sehr, es werden immer mehr –, die nach einer noch fundamentaleren Alternative suchen. Sie sind die eigentliche Zielgruppe all meiner Arbeit. Mittlerweile dürfte es zwangsläufig so sein, daß man auf der Jagd nach einer solchen Alternative schließlich bei der einen oder anderen vorgeblichen und meist selbstzerstörerischen Form des Akzelerationismus landet, die der tatsächlichen Tiefe der Thematik aber niemals gerechtwerden. Dazu habe ich vor Jahren schon alles Notwendige klargestellt, aber für die Freunde des gesprochenen Worts unlängst auch nochmal mit Martin Sellner, der einen deutlich pragmatischeren Blick pflegt, alles ausgehandelt. Darf man sich durchaus zu Herzen nehmen.
Nick Land (seit neuestem auch umfangreich auf Deutsch zu haben, Besprechung folgt!) hat bereits 2012, wohlgemerkt nach der Veröffentlichung von The Dark Enlightenment, unter dem Eindruck der Wiederwahl Barack Obamas geschrieben:
Die Verzweiflung der Rechten ist nicht die Folge eines einzelnen beklagenswerten Wahlergebnisses, sondern beruht auf der unerbittlich dämmernden Erkenntnis, daß sie von Natur aus nicht zur Politik fähig ist. Wenn die Rechte an die Macht kommt, dann indem sie zu etwas anderem wird und ihre Parteigänger nicht nur beiläufig und marginal verrät, durch Zaghaftigkeit oder Inkompetenz, sondern frontal und grundsätzlich, indem sie in der Praxis ein Programm verfolgt, welches beinahe gänzlich das Gegenteil ihrer angeblichen weltanschaulichen Überzeugungen darstellt. Sie baut mit an dem, was sie abzuräumen versprochen hatte, und schlägt das, was sie zu befreien versprach, in neue Fesseln. Ihre Siege haben immer weniger, ihre Niederlagen immer mehr Bedeutung. Ein Sieg ist höchstens das kleinere Übel, während eine Niederlage neue, nie dagewesene Horizonte des Unheils eröffnet […].
Nick Land: »What We Deserve«, thatsmags.com vom 9. November 2012.
Da mag er recht haben, ein Gegenbeispiel bleibt jedenfalls bis heute abzuwarten.
Zuletzt noch ein Hinweis in eigener Sache: Da KDP zum 20. Juni die Druckkosten anhebt, wird auch die Printausgabe von »So funktioniert Geschichte nicht!« Richard Spencer im Gespräch über Politik, Kultur und eine alternative Rechte dann entsprechend teurer werden. Wer das Buch zum Vorzugspreis erwerben möchte, sollte also innerhalb der nächsten vier Wochen zugreifen – danke!
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