Washington wirkt – nur wie?

Washington war Pornographie
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Washington ist quasi “trad”: »Diese so vollkommene Demokratie stellt selber ihren unvorstellbaren Feind her, den Terrorismus. Sie will nämlich lieber, daß man sie nach ihren Feinden und weniger nach ihren Ergebnissen beurteilt. Die Geschichte des Terrorismus wird vom Staat geschrieben; ihr kommt somit ein erzieherischer Wert zu.«

Könnte einer klugen tagesaktuellen Einordnung des Kapitol-Debakels in Washington entstammen. Aber wenn es so etwas gäbe, müßte ich es ja nicht hier zum Anfüttern verwenden. Tatsächlich ist obiges Zitat schon mehr als 30 Jahre alt: Es steht in Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels, Berlin 1996, S. 215, und erschien zuerst 1988. Es gehört zu den Kommentaren Debords zu seinem Ursprungswerk von 1967. Daran führt kein Weg vorbei, wenn man an der Theorie unserer jetzigen Informations- und Mediengesellschaft interessiert ist. Wie bei allen anderen relevanten Themen auch, kann man sich durch Musterung einiger linker Klassiker ganze Regalmeter an konservativ-verkniffener Zweit- und Drittverwertung ersparen.

Zum Thema: In meinem Ausgangskommentar zu Washington und der daraus erwachsenden Misere hatte ich bereits die Frage nach dem Sinn aufgeworfen. War nicht schon von Beginn an jedes Wort zum Thema eines zuviel?

Anscheinend nicht, wenn man die Entwicklungen seither betrachtet. Daß unverbesserliche “Qtards” sich auch weiterhin an den mythischen Plan klammern würden, auf den zu vertrauen sei, war abzusehen. Völlig verrückt, aber kein bißchen überraschend auch das Verhalten etwa eines Nick Fuentes, der gewohnt zweigleisig fährt und einerseits das Spektakel in Washington für sich beansprucht, aber gleichzeitig die Auswüchse und negativen Konsequenzen himmelweit von sich weist. Wie bereits geschrieben: »Das ist für mich denn auch der einzige erkennbar positive Punkt am Theater vor dem und im Kapitol – was von der Alt-Lite übrig ist, wird jetzt ausgelöscht werden.«

Washington im Blick der Erwachsenen

Es ist tatsächlich wohltuend, den Gedanken von Menschen zuzuhören, die es ernst meinen und Ahnung vom Thema haben. Daran mangelt es auf der Rechten leider oft. Wenn Richard Spencer und Brad “Hunter Wallace” Griffin zusammenkommen, dann wird der Zuhörer aber nicht enttäuscht: In der aktuellen Diskussion geht es insbesondere um die Vergleichbarkeit von Washington und Charlottesville. Daß die liberale Presse die Ereignisse parallelisieren würde, war sowieso klar. Doch auch innerhalb der (ehemaligen) Alt-Right im weitesten Sinne sind allerlei halbironische Formulierungen wie »DCville« im Umlauf. Natürlich bin ich parteiisch, aber selbst für Hörer ohne jeden “Szene”-Bezug dürfte dieser Podcast extrem interessant sein.

Auf der anderen Seite des politischen Spektrums gibt es längst eine unüberschaubare Anzahl an Podcasts, bis hin zu ganzen Serien, über bzw. gegen Trump und dessen Nebenphänomene. “PlasticPills” gehört grundsätzlich eher nicht dazu, sondern beschäftigt sich in der Tradition der Kritischen Theorie vorwiegend mit kultur(industri)ellen Fragen. Die von Washington angeregte Episode ist ein wilder Ritt durch die Klassiker bis hin zu Walter Benjamin – eine Herausforderung, doch allemal eine lohnende.

Zu guter Letzt noch ein etwas zwiespältiger Verweis: Man muß, wie so oft, das eingestreute liberale Gejammer einfach ausblenden. Generell interessant ist m.E. vor allem die erste halbe Stunde, in der es um die unterschiedlichen methodologischen Herangehensweisen bei der Faschismusdefinition geht. Besonders aufhorchen läßt die These, daß für die faschistische Genese soziales Leben unabdingbar sei – bis hin zu quasi-tribalen Zusammenschlüssen wie den Freikorps und den Fasci di Combattimento. Was die Implikationen von Washington anbelangt, so sehen die Moderatoren dieses Ereignis im Kontext des Herrschaftsstils Trumps insgesamt. Bedeutsam sind dabei die Fokussierung auf Emotionen (anstatt, nicht zugunsten von Ideologie) und Prestige (womit sich der Kreis zu Debord und den Medien schließt), bis hin zur Wirkung des rechten Personenkults als einziger zeitgenössischer Mechanismus sozialer Verknüpfung. Letzteres arbeite ich ohnehin derzeit in gedruckter Form noch deutlich weiter aus.

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